Reden

Einführung in die Ausstellung „frei malen“

[…] Seit 2003 präsentieren Haydee Freitas und Henriette Homoth einmal pro Jahr mit sehr viel persönlichem Engagement hier in der „Alten Wäscherei“ Arbeiten ausgesprochen junger Künstler und Künstlerinnen. Dieses Jahr ist ein reines Künstlerinnenjahr: die jüngste ist 8 und die älteste 18 Jahre jung. […] „frei malen“ – dieser im besten Sinne mehrdeutige Titel verdankt sich der Idee der „großen Gruppe“ – schließlich kreisen sie in der Kunsttherapie um ganz wichtige menschliche Fragen: wer bin ich? woher komme ich? und wohin gehe ich? […] Auf Ihrem Weg bis hierher in die Werkstatt sind Sie auch an „Wegen“ vorbei gekommen. „Wege“, die sich während des frei Malens herausgebildet haben. Bei der Betrachtung dieser Arbeiten stellen sich ganz unterschiedliche Empfindungen ein: Auf einem Bild sehen wir einen breiten, geraden Weg, der von einem Haus und Bäumen gesäumt ist – das scheint ein guter Weg oder zumindest ein vertrauter Weg zu sein. Deutet man die weißen Flecken, die aus dem Schwarz herausragen allerdings als Steine dann ist er auch mit Hindernissen verbunden. M. hat dieses Bild „Dein Weg“ genannt. Auf J.s Weg ist jemand unterwegs, sie hat sich durch Xavier Naidoos Fußball-WM-Hymne „Dieser Weg“ inspirieren lassen. Ganz anders stellt sich B.s „Weg“ dar: ohne jeden Ortsbezug und sehr linear erinnert er an einen Stadtplan; der sprechende Titel erklärt, dass es sich hierbei um eine „Schatzkarte“ handelt. Das drückt sich auch in kostbar wirkenden Farben aus – die junge Künstlerin beschreibt darin ihren Weg von zu Hause in die Kunsttherapie. […] Sie sind auch an Zeichnungen vorbei gekommen, die aussehen wie so genannte Smilies: in Form einfacher Zeichen bekommen Gefühle wie Wut, Trauer und Freude in der Kunsttherapie im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht. […] In ihren Postern, den großen Collagen aus Fotos, Zeitungsausschnitten und Texten lassen uns die jungen Künstlerinnen schlaglichtartig an ihren Lebenswelten und Traumwelten teilhaben, das ist sehr beeindruckend sehr mutig. Die Bilder, die Sie dort in dem Flur an der rechten Wand sehen können, sind abstrakt, wir finden keine Elemente mit eindeutigen Bezügen zur Wirklichkeit, keine Figuren, sondern allein Linien und Striche, die gleichsam über die Blätter tanzen. Unter dem Motto „Let’s dance“ haben sich die jungen Künstlerinnen frei getanzt, natürlich zu diversen Lieblingsstücken und C. hat sogar einen Bauchtanz aufgeführt. Diese körperliche Erfahrung spiegelt sich in dem Rhythmus der Bilder wider. „Let’s dance“ I-III gegenübergestellt sind Arbeiten, die ohne thematische Vorgabe unter der Prämisse „frei malen“ entstanden sind: Hier zeigt sich J. in ihrem Selbstportrait beispielsweise als schöne „Inderin“. Dazu kann ich nur sagen „Bollywood“ lässt grüßen. B. hat ein ausgesprochen farbenprächtiges Bild gemalt: wir sehen eine Landschaft mit einem phantastischen Baum. Die Sonne ganz oben rechts in der Ecke bringt die Farben der Natur zum Leuchten. B.s Handschrift erkennt man in der kräftigen Bewegung mit der sie ihre Farben direkt auf dem Papier mischt. So entstehen sehr dichte Bilder, in denen meistens Buchstaben und Namen auftauchen. In ihrem „bunten Wald“ kann man Namen entziffern: Chris und Richie - man gerät unwillkürlich ins Grübeln und fragt sich wer damit wohl gemeint ist. Die jungen Gäste unter uns wissen das sicher sofort, ich hingegen musste mir von der jungen Künstlerin erst einmal erklären lassen, dass es sich um zwei Sänger der „Boygroup“ „Us 5“ handelt. „Das Selbstgemalte Bild“ – so der Titel – das Sie auch im Flur finden – ist als Pendant zum „bunten Wald“ zu sehen. Hier verzichtet B. bewusst und auf Wunsch der Kunsttherapeutinnen auf Buchstaben. Herausgekommen ist ein Bild, das anders als sonst Leerstellen zeigt. Es ist sehr transparent und auf besondere Weise spontan. Die geraden und schleifenartigen Linien finden eine ganz eigene rhythmische Ordnung.

Rhythmus, Musik, Tanz und Bewegung bilden in der heutigen Ausstellung einen Schwerpunkt und wo immer es darum geht, spielt der menschliche Körper die Hauptrolle. Auslöser für das Thema „Akt“ war eine die Covergestaltung einer CD, die M. mit in die Kunsttherapie gebracht hat: Eine CD des amerikanischen Superstars Christina Aguilera mit dem Titel „Stripped“. Von C. sehen Sie hier einen Rückenakt, der durch ein Foto der Sängerin inspiriert ist. C. ist übrigens selbst Sängerin und dazu noch Gitarristin in einer Rockgruppe […]. Ihr „frei gemaltes“ Bild, welches Sie wiederum im Flur sehen, zeigt sie selbst in action. Ihre Power drückt sich auch in der schnellen, gestischen Malweise aus: Traum und Wirklichkeit fließen hier aufs Schönste ineinander. Dieses Bild hat C. - wie sie mir erklärte - direkt aus dem Herzen gemalt. Darum heißt es auch „Kommt vom Herzen“. Jetzt aber wieder zurück zu den nackten Tatsachen: Der Akt bietet wie kaum ein anderes Motiv die Möglichkeit, sich mit dem Thema Schönheit auseinanderzusetzen. Was macht Schönheit aus? Und wie drückt sie sich aus? Etwa in den Idealmaßen eines Models a la „Deutschland sucht das Supermodel?“ oder vielleicht doch in der Ausstrahlung eines Menschen? J.s Akte begeistern dadurch, dass Sie die weiblichen Formen lustvoll betont. Ja, sie macht sie sogar weitestgehend zum alleinigen Bildgegenstand: […] Ihr ganzfigürlicher Akt in Seitenansicht ist eine Mischung aus einem Supermodel und einer zeitgenössischen Fruchtbarkeitsgöttin. In M.s Akten dagegen klingt märchenhaftes und zugleich paradiesisches an: aus kräftigen Umriss-Linien entwickelt sie zauberhafte Wesen, ein Paar das an klassische „Adam und Eva-Darstellungen“ erinnert. M. nennt die beiden allerdings „Hänsel und Gretel“ und zeigt sie von vorne. Sie entwirft eine knabenhafte männliche Gestalt und eine mädchenhafte Aphrodite, die uns arglos und selbstbewusst zugleich gegenüberstehen.

Dass die Kunsttherapie im wahrsten Sinne des Wortes Spiel-Räume ermöglicht, können Sie sehr schön anhand der Entstehung dieser „Tierportraits“ nachvollziehen. Zuerst einmal haben die jungen Künstlerinnen sich selbst geschminkt und so in ihre Lieblingstiere verwandelt: S. in eine elegante „schwarze Stute“, M. in eine „süße Katze“, B. in eine „wilde Katze“ und J. gar in einen „wilden Tiger“. Tierisches findet man übrigens auch in der Kunst der Moderne; denken Sie die beispielsweise an die farbenprächtigen Katzen, Tiger und Pferde von August Macke oder Franz Marc. […] Dass es sich bei S.s „schwarzer Stute“ nicht etwa um einen müden Ackergaul handelt sieht man sofort. Die Stute schreitet bildlich gesprochen geradezu hoheitsvoll ins Bild. Sie nimmt fast das gesamte Hochformat ein. Wir sehen ein edles Geschöpf, dessen Eleganz und Erhabenheit durch den schlanken Hals und das Schwarz des Fells noch betont wird. Die auffällige weiße Blesse macht die „schwarze Stute“ zu einer Schönheit, in der viel Kraft und Stärke steckt.

Tiere sind fester Bestandteil aller Kulturen, sie tauchen nicht nur in der Literatur, in Märchen und Filmen auf; das Musical „Cats“ von Andrew Lloyd Webber ist beispielsweise eine einzige Liebeserklärung an Katzen, die allesamt mit menschlichen Stärken und Schwächen ausgestattet sind. In Disneys Klassiker „Das Dschungelbuch“ ist es auch nicht anders: Der Tiger, der im Allgemeinen Kraft, Mut und Tapferkeit symbolisiert, verkörpert hier als „Shir Khan“ ein hinterlistiges Wesen.

M.s Portrait zeigt einen runden Katzenkopf, der wie ein Luftballon vor einem tiefblauen Himmel davon schwebt. Die „süße Katze“ ist grau und wirkt wie ein freundlicher, weiser alter Kater, der schon einige Katzenleben gelebt hat – so wie das altehrwürdige Katzenoberhaupt in „Cats“. In diesem Musical wählt der Kater auf dem so genannten „Jellicle-Ball“ alljährlich eine Katze aus, die dazu auserkoren ist, in den Katzenhimmel aufzusteigen, um wiedergeboren zu werden. Ebenso wie M.s „süße Katze“ sind auch B.s „wilde Katze“ und J.s „wilder Tiger“ körperlos. Die „wilde Katze“ zeigt sich mit einem Lächeln von ihrer sanften Seite und der „wilde Tiger“ hat sich tief ins Dickicht zurückgezogen. Er blickt uns aus sicherer Distanz mit weit aufgerissenen Augen an. […] Masken haben nicht nur im Karneval eine Bedeutung; Masken faszinieren die Menschen seit Urzeiten. In vielen Kulturen waren und sind sie Bestandteil von Übergangsritualen und Festen. Wir haben gesehen, wie sehr man sich mittels Schminke verwandeln kann. Die Masken haben uns vielleicht Verborgenes gezeigt und unbewusste Anteile ans Licht gebracht und doch verbergen sie. Am 15. Juni wurde im Martin-Gropius-Bau eine große Cindy-Sherman-Ausstellung eröffnet: die amerikanische Künstlerin (geb. 1954) liebte es schon als Kind sich zu schminken und zu verkleiden und sie liebt es heute noch. Ihre beste Freundin brachte sie zu Studienzeiten auf die Idee, ihre surrealen „Maskeraden“ zu fotografieren; mit diesen Selbstinszenierungen wurde die Künstlerin weltberühmt.

Ich freue mich, Ihnen nun einen ganz besonderen Kunstgenuss ankündigen zu dürfen. Die Idee dazu entstand spontan in der „kleinen Gruppe“ während der Ausstellungsvorbereitungen: Wir werden jetzt eine Tanz-Performance erleben: zu einem der Lieblingstitel der jungen Künstlerinnen: zu „Hum Tum“, das heißt „Du und ich“ von „Scharokahn“