Reden

„LichtBlicke für Nachtschwärmer“,
Lichtinstallation von Günter Ries, Einführung anlässlich der Einweihung am Mittwoch, dem 16. Januar 2008, 19 Uhr

LichtBlicke Rede

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Liebe Gäste liebe Freunde!
Was wäre unser großstädtisches Leben ohne Licht? Licht war und ist der Ausweis von Modernität. Architekten, vor allem bildende Künstler waren von Anbeginn von den technischen Möglichkeiten des Mediums Licht und dabei ganz besonders von seinen Erscheinungen fasziniert. Bereits 1928 feierte sich Berlin als Lichtstadt und Bauhaus-Künstler experimentierten mit Licht.
In gewisser Weise experimentiert auch Günter Ries mit Licht. Der Begriff bezieht sich hier auf das Ausloten der Möglichkeiten durch Licht die Wahrnehmung zu schärfen, neue Wahrnehmungsräume zu schaffen und wie Kandinsky es 1911 in seiner Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ formulierte, durch Farbe „seelische Vibrationen“ hervorzurufen. *
Günter Ries hat Malerei an der Universität der Künste Berlin studiert. Er war Meisterschüler bei Professor Horst Hirsig. Wie kommt Ries von der Malerei zur Lichtkunst? Aus meiner Sicht ganz folgerichtig, denn „Licht ist das erste Thema aller Malerei“ (Wieland Schmied), denken Sie an die Meister der Malerei von Licht und Schatten, an die Gemälde Rembrandts oder Caravaggios.
Ries ist auch ein Meister des Lichts, er malt aber nicht mit Öl auf Leinwand, sondern er malt mit dem Licht selbst – seine Leinwände bilden Fassaden und Räume. Der Künstler taucht mit Vorliebe ganze Architekturen in Farbe. Er stülpt diesen jedoch niemals irgendetwas über, sondern entwickelt maßgeschneiderte Konzepte, auch temporäre, die mit nur dekorativer oder gar Effekt heischender profaner Beleuchtung nichts gemein haben. Seine Lichtkunst unterstreicht immer wesentliche Strukturen, Formen und Gefüge der Bauköper.

Günter Ries ließ sich bei seinem Entwurf für dieses Gebäude von der neuen Fassaden-Architektur inspirieren und bezog dabei ganz wesentlich die Lage des Hauses in der doch relativ schmalen Kochstrasse mit ein. Er konzipierte eine Beleuchtungsanordnung, die man besonders gut von der Seite sehen kann und die gerade in ihren Seitenansichten einen dynamischen Farbklang bilden. Er akzentuiert durch Lichtsetzungen in den Fensterlaibungen die Struktur des Gebäudes und zwar mittels Neonröhren. In jedem Fenster stehen sich zwei verschiedene Farben gegenüber: Violett und Gelb, Blau und Orange, Türkis und Dunkelorange, Grün und Rot. Farben, die sich im Farbkreis gegenüberliegen und einen so genannten Komplementär-Kontrast bilden. Die 2 Meter langen Neonröhren befinden sich die sich hinter Acrylglas. Bei den Neonröhren handelt es sich nicht um industriell hergestellte Stangenware, die Sie in jedem Bauhaus kaufen können, sondern um individuell von einem Glasbläser in traditionellem Handwerk hergestellte Rohlinge. Die von hand gezogenen Rohlinge stammen größtenteils aus namhaften Thüringer Glashütten: einige Farben noch aus der berühmten Rosalinglashütte, die in Ilmenau beheimatet war. Die gelben Röhren sind sogar aus Muranoglas und wurden in den weltberühmten Glashütten bei Venedig hergestellt.
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Jede der insgesamt 376 Neonröhren besteht aus drei verschiedenen Komponenten: nämlich Glas, (Leucht‑)Pigment und Gas. Aus diesen drei Komponenten hat Günter Ries in enger Zusammenarbeit mit dem Glasbläser seine gewünschte Farbpalette individuell zusammengestellt und die Farben fein aufeinander abgestimmt. Das Grün zum Beispiel besteht aus grünem Glas, einem Pigment (Grün 1) und dem Edelgas Argon, das sich blau entlädt. […] Ries setzt für seine Lichtinstallation, die eine gelungene Einheit mit der Architektur bildet, das gesamte Farbspektrum ein. Die vom Künstler fein abgestimmte Lichtskala reicht von Osten – also vom Checkpoint Charlie aus gesehen von einem zarten Violett über Blau zu Grün und umgekehrt von Grün zu Blau. Wenn Sie aus Richtung Westen, also der Wilhelmstrasse kommen, erleben Sie hingegen das warmtonige Spektrum von Gelb bis Rot und auch hier wieder umgekehrt von Rot zu Gelb.
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Der Künstler verwandelt die bei Tag zurückhaltende Fassade dieses Gebäudes bei Nacht zum Tableau einer einmaligen Lichtsinfonie – einer Sinfonie, die Sie erleben können, wenn Sie sich als Betrachter körperlich einsetzen und sich vor dem Gebäude bewegen: zum Beispiel ganz nah an das Haus herantreten und nach oben blicken, oder auf die gegenüberliegende Straßenseite wechseln und frontal auf die rund 26 Meter hohe und 62 Meter lange Front blicken. Die Fassade wird aus diesem Blickwinkel zu einem indirekt glühenden Lichtfeld. Die Differenziertheit und Finesse der Lichtinstallation kommt von hier aus gesehen vielleicht am deutlichsten zum Ausdruck: das Licht scheint irreal, die Farben wirken aus dieser Perspektive wie hauchzarte Striche. Dadurch entsteht ein eher grafischer Eindruck. Zugleich ergibt sich jedoch auch eine ausgesprochen malerische Wirkung. Die Fassade wird zum einem überdimensionalen Lichtbild mit einer kraftvollen Aura: denn in den Fenstern und auf den Jalousien entstehen immer neue subtile Farbmalereien. Sie als Betrachter können dabei Ihr ganz eigenes Bild erzeugen und zwar immer ein anderes. Spielen Sie mit der Distanz zwischen Ihrem Körper und dem Bauköper. Sie selbst können durch ihre eigene Bewegung auf das Gebäude zu und an ihm entlang immer neue Farbakkorde erzeugen und das ganz ohne aufwendige Computertechnik. Natürlich hat Günter Ries seine Lichtinstallation auch signiert und zwar mit der blauen Neonröhre inmitten des roten Feldes. Das Signet sehen Sie aus Richtung Wilhelmstrasse. Blau ist das Markenzeichen des Künstlers!
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* Günter Ries malt mit Licht wie auch seine Fotokunst zeigt, die Sie an dieser Wand sehen. […] Das Diptychon „Licht“ ist ein Ergebnis seiner fotografischen Erkundungen der Metropole Berlin bei Nacht. Mittels einer analogen Spiegelreflex-Kamera spürt der Künstler Licht-Reflexionen an Stellen auf, die wir beim Hetzen durch den Großstadtdschungel gerade nicht wahrnehmen. Ries hält die farbigen Lichtreflexe wie sie zum Beispiel die Straße mit ihren Ampelanlagen und der Verkehr mit seinen Autos erzeugt mittels Langzeitbelichtungen (20 Sek.) fest. Seine Fotografien entstanden an der Brücke des Bahnhofs Friedrichstraße. Dabei interessiert ihn als Motiv allerdings weder die Brücke noch die Straße, sondern das Licht selbst. Sein „Diptychon“ zeigt unterschiedliche Lichtmalereien: Der Ausschnitt ist jedoch identisch, das heißt die Reflexionen sind von ein und demselben Standpunkt aus festgehalten. Das Treiben der Metropole, ihre Dynamik vermittelt sich indirekt über das abstrakte Farbenspiel. Ries gelingt damit das Aufgehen der Malerei in der Fotografie.