Vorträge

Positionen zeitgenössischer Kunst zum Phänomen des Erinnerns: „Von Bunkern, Gehirnen, Matratzen und der Anstiftung zum Dialog…“, Vortrag im Rahmen der Frühjahrsreihe im Haus der Wannsee-Konferenz Berlin, Gedenk- und Bildungsstätte,
1. April 2007.

(…) Der Titel meines Vortrags – „Positionen zeitgenössischer Kunst zum Phänomen des Erinnerns“ – vor allem aber die Aufzählung so unterschiedlicher und durchaus ambivalenter Dinge und Anliegen wie „Von Bunkern, Gehirnen, Matratzen und der Anstiftung zum Dialog…“ deuten bereits das Spektrum von Themen an, um die es heute in dem Kontext von „Kunst und Erinnerung“ gehen soll.

Ich werde Ihnen Arbeiten von fünf Künstlerinnen und Künstlern aus zwei Generationen vorstellen, die sich jeweils auf sehr individuelle Weise mit dem Phänomen „Erinnern/Vergessen“ auseinandersetzen. Dabei werden wir mit verschiedenen „Erinnerungstechniken“ in Berührung kommen: wir werden sehen „wie“, das heißt, mit welchen künstlerischen Mitteln erinnert wird, und wir werden sehen „was“ erinnert wird. Ausgewählt habe ich Positionen, die von den klassischen Medien der Kunst, also der Malerei, Plastik, Fotografie bis zu Installationen und Projekten reichen, die auf den Dialog mit ganz unterschiedlichen Menschen zielen. Das Thema Erinnerung ist in der Kunst der Gegenwart von ganz bestimmten prominenten Künstlerpersönlichkeiten besetzt; das bedaure ich immer ein wenig, und darum möchte ich Ihnen heute Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern zeigen, auf die Sie in diesem Kontext jedenfalls nicht so automatisch treffen: Mit Ausnahme vielleicht der in Hamburg lebenden Künstlerin Sigrid Sigurdsson (*1943). Sie zielt mit ihren Erinnerungsprojekten auf den intensiven Dialog mit ganz verschiedenen Menschen und gehört zu den prominenten VertreterInnen der gegenwärtigen „Erinnerungskunst“. Einige der Arbeiten, die ich Ihnen vorstellen möchte, stellen aufgrund des Sujets explizite historische Bezüge her, andere formulieren vorrangig individuelle Erinnerungen und wieder andere thematisieren das Gedächtnis selbst: Erasmus Schröter (*1956) stellt Relikte wie zum Beispiel Bunker in ihrer Funktion als Bollwerke des Krieges ins Scheinwerferlicht seiner Fotografien. Henning Eichinger (*1959) materialisiert in seinen Ölgemälden die Zentrale unseres Denkens, Fühlens und Sehens: das menschliche Gehirn. Yvonne Kendalls (*1965) Erinnerungsarbeit thematisiert Vergangenes, Vergessenes und Verdrängtes: Gebrauchsgegenstände wie abgelegte Matratzen oder regal- und setzkastenartige Systeme werden zu Metaphern des Erinnerns. Im Werk Gisela Weimanns (*1943) wird der Spiegel, der für Selbstbefragung und Selbsterkenntnis steht, zum Sinnbild des Erinnerns.

Sich mit Erinnerung in der Kunst auseinanderzusetzen hat heutzutage Hochkonjunktur! Zahlreiche Ausstellungen und künstlerische Projekte haben spätestens seit den 1980er Jahren Fragen der Erinnerung, Aufbewahrung und Rekonstruktion von Vergangenem in den Blickpunkt gestellt. Erst im letzten Jahr widmete sich zum Beispiel das Kunstmuseum Wolfsburg in der Ausstellung „Spurensuche: Vergessen und Erinnern in der Gegenwartskunst“ (28. Februar – 13. August 2006) der Frage nach der Bedeutung von Erinnerung im Zeitalter digitaler Datenspeicher und beschleunigter Medienkommunikationsprozesse.

Im Deutschland der 50er Jahre waren es zunächst nur einzelne Künstlerinnen und Künstler, die die historischen Ereignisse der Elterngeneration in den Blick nahmen. In den 70er Jahren entwickelten dann Künstler wie Jochen Gerz (*1940) oder Christian Boltanski (*1944) Konzepte, die den Betrachter provozieren, vor allem aber Denkprozesse auslösen sollten. Die beiden gelten mit dem französischen Künstlerpaar Anne (*1942) und Patrick Poirier (*1942) als Hauptvertreter der so genannten „Spurensicherung“. Hierbei handelt es sich nicht etwa um eine Künstlergruppe, sondern um ein „Etikett“, das eine Methode beschreibt, die man aus der Kriminologie kennt; sie arbeitet mit Fundstücken; ergänzt, katalogisiert und archiviert diese. Der Kunstkritiker Günter Metken († 2000) prägte diesen Begriff anlässlich einer Ausstellung im Hamburger Kunstverein im Jahr 1974. Er zeigte damals Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die eine ähnliche Arbeitsweise hatten, und deren Charakteristik im „Sammeln und Archivieren“ gefundener Materialien bestand. Wie Archäologen forschten und gruben sie nach Anthropologischen Spuren und rekonstruierten gewissermaßen (Lebens ) Geschichten.

(…) Wir haben gesehen, dass die Impulse und Verfahren der künstlerischen Erinnerungsarbeit individuell verschieden sind und dabei doch Ähnlichkeiten aufweisen: Einige Arbeiten stellen Bezüge her zu historischen Geschehnissen, wie Krieg und Unterdrückung: Dabei wird der Terror des Nationalsozialismus – wie die verschiedenen Positionen gezeigt haben – plakativ und subversiv zugleich ins Blickfeld gerückt. Reflektiert werden aber auch unsere jüngere Geschichte und die Ära der kommunistischen Diktatur. Persönliche Belange des Alltags, Kindheitserinnerungen, Bruchstücke und ganze Biographien geraten – wie wir gesehen haben – als Mikro- oder Makropartikel von Geschichte gleichermaßen ins Blickfeld von Künstlerinnen und Künstlern. Außerdem werden ganz aktuelle Fragen aufgeworfen, die das Phänomen des Erinnerns und (aktuelle) Gedächtnismodelle selbst thematisieren. Eingangs haben wir uns gefragt, inwieweit die künstlerischen Mittel geeignet sind, Erinnerungsprozesse sichtbar zu machen und auf Seiten der Betrachter Erinnerung in Gang zu setzten. Dass die Kunst bestens geeignet ist, Erinnerungsräume zu schaffen, individuelle Erinnerungsprozesse auszulösen, Zeitgeschichte zu thematisieren und auch zu dokumentieren haben wir am Beispiel der Arbeiten von Erasmus Schröter, Henning Eichinger, Yvonne Kendall, Gisela Weimann und Sigrid Sigurdsson heute erfahren. Wie weit wir gedanklich zurückblicken und welche Erinnerungen vor unserem geistigen Auge lebendig werden, hängt dabei ganz von unseren individuellen Erfahrungen ab…